„Aber die Oberen verspotteten Jesus … Es verspotteten ihn auch die Soldaten … Auch einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn … Da wies ihn der andere zurecht und sprach: ‚… dieser aber hat nichts Unrechtes getan‘“ (Lk 23,35-41). Es ist in der Tat erstaunlich, dass, während die betagten Bibelgelehrten in Israel und die klugen, gebildeten römischen Soldaten nicht erkennen konnten, wer Jesus war, ein Räuber und Mörder, der nichts über die Bibel wusste, dies in seinen letzten Augenblicken auf Erden erkennen konnte.
Unterscheidungsvermögen [Urteilsvermögen] kommt nicht durch Intelligenz, Bibelwissen oder Erfahrung. Sie wird denen, die ein aufrichtiges Herz haben, von Gott gegeben. Der Räuber am Kreuz lehrt uns, wie wir Unterscheidungsvermögen haben können. Die ganze Riege von Bischöfen, Priestern und Bibelgelehrten in Israel standen an diesem Tag am Fuß des Kreuzes und klagten Jesus in verschiedener Hinsicht an (Mt 27,41). Auch viele der leitenden Bürger des Volkes, die vorbeigingen, beschimpften Jesus auf unbarmherzige Weise und klagten ihn an, dass er den Tempel zerstören würde (eine falsche Anklage, da Jesus eine solche Aussage nie gemacht hatte) (Mt 27,39).
Beide Räuber waren von diesen Anklagen so überzeugt, dass auch sie in die Schimpftiraden gegen Jesus einstimmten (Mt 27,44). Aber plötzlich hörte einer von ihnen damit auf und sagte in Bezug auf Jesus: „Dieser Mann hat keine einzige Sünde getan“ (Lk 23,41). Wie wusste er das? Wie erkannte er, dass Jesus der Messias war, so wie er es behauptet hatte? Wie wies er all die Anschuldigungen der Leute als falsch zurück – zu einer Zeit, als niemand für Jesus eintrat? Schließlich „kann es doch keinen Rauch ohne ein Feuer geben“, nicht wahr? Wenn man sich nach der weltlichen Weisheit dieses Sprichworts richtet, dann hätte der Räuber denken können, dass es bei Jesus irgendwelche Gründe – wie gering auch immer – geben muss, weswegen all diese Hunderte von Menschen ihn anklagten. Doch der Räuber sagte, dass Jesus NICHTS Unrechtes getan hatte!
Wie wurde der Räuber so geistlich gesinnt, dass er zurückwies, „was seine Ohren hörten“ (Jes 11,3)? Weil er Jesu Worte hörte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34). Auf der einen Seite sah der Räuber die Unruhe, die Aufregung, die Bitterkeit und den Hass jener Bibelgelehrten. Auf der anderen Seite sah er die vergebende Einstellung, die Abwesenheit von Selbstrechtfertigung und die Ruhe, die Jesus hatte. Daher erkannte er, wer im Recht und wer im Unrecht war.
Auch in der Gemeinde sollen wir auf diese Weise unser Unterscheidungsvermögen ausüben. Wenn zwei Brüder oder zwei Schwestern eine Auseinandersetzung haben, und du dann diesen Maßstab benutzt, wirst du bald herausfinden, wer im Recht oder wer im Unrecht ist. „Aber die Gottlosen sind wie das ungestüme Meer, das nicht still sein kann und dessen Wellen Schlamm und Unrat auswerfen. Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott“ (Jes 57,21). Jene, die in Gottes Augen im Unrecht sind, sind zu einem Leben von beständiger Aufregung und Unruhe verdammt, in dem sie weiter Müll und Schlamm gegen gottesfürchtige Geschwister aus ihrem Munde ausspucken (Tratsch, Anklagen, Beschwerden und Beschimpfungen). Wenn du einen solchen Bruder oder eine solche Schwester triffst, kannst du ihn/sie ohne Zögern als eine böse Person einstufen, denn Gott bezeichnet ihn/sie so (Jes 57,20-21). Es gibt keine Notwendigkeit für weitere Beweise oder sogar dafür, sich die Fakten des Falles anzuschauen. Die Unruhe und der aufgewühlte Geist in dieser Person sind der klarste Beweis von allen.
In weltlichen Gerichtsverfahren brauchen die Richter manchmal viele Jahre, um durch die ganzen Beweise zu gehen, bevor sie zu einem Urteil kommen. Und sogar dann können sie falsch liegen. Wenn wir diese Methode für die Schlichtung von Streitigkeiten in der Gemeinde übernehmen, dann werden wir unser ganzes Leben verwenden müssen, um bloß der einen und dann der anderen Seite zuzuhören, bevor wir zu einer Schlussfolgerung kommen. Und wir könnten dann immer noch falsch liegen!
Aber Gott hat uns einen besseren Weg gegeben: Prüfe einfach, wer ruhig und wer unruhig ist. Prüfe, wer sich selbst rechtfertigt und wer voller Klagen ist. Und du wirst die Antwort auf der Stelle haben, wer rechtschaffen ist und wer nicht.
Der Räuber am Kreuz hat uns das Geheimnis von Unterscheidungsvermögen gezeigt.